Rezension: Todessamen
Aktualisiert: 31. Jan. 2021

Hier kommt sie also, meine erste, offizielle Rezension.
Eines möchte ich gerne von vornherein klarstellen: Ich werde für meine Meinung weder bezahlt noch sonst irgendwie beeinflusst oder bestochen*.
Offen gestanden hätte ich »Todessamen« mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gelesen, wenn ich Nicole nicht von Twitter und Instagram kennen würde; Fantasy ist einfach nicht mein Genre. Und da haben wir schon das erste Problem.
Fantasy – mit viel Fantasie
Fantasy ist ein sehr beliebtes Genre, besonders bei Selfpublishern. Keine Ahnung, warum dem so ist, ich war nie ein großer Fantasy-Fan (weder bei Büchern noch bei Filmen), aber vielleicht bin ich eine Ausnahme. Wie gesagt, würden Nicole und ich uns nicht kennen, hätte ich das Buch vermutlich alleine des Genres wegen nicht gelesen.
Was für ein großer Fehler das gewesen wäre!
Persönlich würde ich »Todessamen« ja eher als Mystery-Thriller oder Horror einordnen, irgendwo zwischen Akte X und Outer Limits.
Aber fangen wir einfach von vorne an.
Die Protagonistin, Jessie, ist eine Weise. Ihre Eltern, erfahren wir im Laufe der Geschichte, kamen bei einem Autounfall ums Leben. Es kommt, wie es kommen muss und Jessie landet in einem Kinderheim. Dort wird sie Opfer von Mobbing, Übergriffen und anderen Gemeinheiten. Um sich selbst zu schützen, hat sie schon sehr früh einen Weggefährten »erschaffen«: Sam.
Sam entspringt einer Fantasiewelt, die nichts mit der Realität gemein hat. Ebendiese Fantasiewelt übt auf Jessie einen ganz besonderen Reiz aus. Sams lilafarbene Augen, sein durchdringender Blick und seine spitzen Ohren haben Jessie schnell in eine Welt gezogen, in den sie sich immer wieder bereitwillig zurückzieht.
Als sie alt genug ist, kann sie das Heim verlassen und wohnt alleine in dem kleinen Ort Grubingen (ein Ort, der immer wieder in Nicoles Geschichten vorkommt). Seltsame Dinge passieren hier, über die aber niemals jemand spricht. Der Grubinger Forst, so sagt man, sei verflucht und obwohl es keine offizielle Verlautbarung dazu gibt, weiß doch jede:r Grubinger:in, dass man sich davon am besten fern hält.
Alleine zu leben ist nicht nur ein Segen für Jessie und sie »konsultiert« häufig den Sozialarbeiter Freddie, der ihr rät, sich mit anderen Menschen anzufreunden. Die Vergangenheit hat Jessie allerdings gelehrt, dass sie niemandem vertrauen kann, dennoch lässt sie sich auf eine Freundschaft mit Jenny ein. Jenny ist ein interessanter Nebencharakter, der Jessie durch bestimmte Verhaltensweisen immer wieder innere Kämpfe austragen lässt, spielt für die weitere Handlung des Romans aber eine untergeordnete Rolle. Jessies eigentlich beste Freundin ist die Katze Cheshire, zu der sie eine tiefe Verbundenheit empfindet, weil auch die Katze »heimatlos« ist.
Jessie lebt sich langsam ein, gewöhnt sich an ihren Alltag, hat einen Job (bei dem sie es mit Menschen zu tun hat, was häufig weiteren, inneren Zwiespalt auslöst) und gerade als ihr Leben in geordneten Bahnen abzulaufen scheint – so geordnet es bei ihr eben sein kann – taucht unvermittelt Sam wieder auf. Nicht als Produkt ihrer Fantasie, sondern als realer Charakter. Und er bringt keine besonders guten Nachrichten. Kann sie Sam vertrauen? Sie liebt ihn, aber macht sie das blind? Ist er überhaupt real? Jessie stellt sich viele Fragen, und folgt Sam doch in seine Welt, die für sie nicht nur Schönes bereithält. Sam bringt ihr bei, Portale zu nutzen, um zwischen den Welten hin- und herzuspringen. So erfahren wir auch, dass Sam schon immer »real« war und Jessie oft dazu »angestiftet« hat, sich im Heim zur Wehr zu setzen; nicht immer mit gutem Ausgang.
Die Protagonistin begibt sich auf eine Reise – wir machen einen Zeitsprung ans Ende des Buches – und muss eine folgenschwere Entscheidung treffen, die nicht nur das Leben der Menschen in Grubingen beeinflusst, sondern sie erneut mit ihren inneren Dämonen konfrontiert.
Genre, Stil und Sprache
»Todessamen« ist, ich erwähnte es bereits, ein Fantasyroman. Damit habe ich immer noch meine Probleme, aber das ist sicher eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Nicole gelingt es mit einfacher und gleichwohl eindringlicher Sprache, ein Setting zu schaffen, dass an Stephen Kings »Castle Rock« erinnert. Ihre Charaktere sind lebendig, nahbar und nachvollziehbar. Die Gedankeneinschübe, die sie Jessie immer wieder »in den Mund legt«, helfen, die Vergangenheit der Protagonistin zu verstehen und machen ihr Verhalten erklärbar.
Im Buch springen wir immer wieder ins Jahr 1347 - für diese Passagen hätte ich mir noch mehr »alte« Sprache gewünscht; Nicole gelingt es dennoch ausgezeichnet, Heinrich, den Charakter aus 1347, authentisch sprechen und wirken zu lassen.
Zusammenfassend gebe ich zu, ich bin Fan. Ich mag Nicoles Kurzgeschichten (https://dreiwoerter.de) und auch »Todessamen« hat mich positiv überrascht. Ich habe das Buch, 269 Seiten (plus Anhang, etc.), in einem Rutsch gelesen und direkt im Anschluss »Epiphanie« von Nicole Siemer gekauft. Das spricht eine deutliche Sprache.
Wenn es eines gibt, dass ich auszusetzen habe, dann, dass das Ende ein wenig »zu schnell« um die Ecke kam und irgendwann im Laufe der letzten Seiten vorhersehbar war. Aber das sind die meisten Enden, kurz vor Schluss, nicht wahr? ;)
*Wein und Schokolade funktionieren hervorragend.