4 Tools, die mir helfen, Schreib-Perfektionismus zu überwinden

Angeregt durch eine Unterhaltung vor einiger Zeit habe ich über Perfektionismus nachgedacht. Was bedeutet das für Autor*innen? Wie geht man damit um, wenn Texte nicht veröffentlicht werden (können), weil sie nicht »fertig« sind? Wann ist »gut« gut genug?
Ich würde mich selbst auch als Schreib-Perfektionisten bezeichnen und das hat es mir sehr lange wirklich schwer gemacht. Aus Perfektionismus folgen oft Selbstzweifel (wie man damit umgeht, dazu mehr hier) und wer zweifelt, veröffentlicht irgendwann nicht mehr.
Dinge perfekt machen zu wollen, ist nicht per se schlecht. Ganz im Gegenteil. Aber irgendwann muss man »fünfe gerade sein lassen*«, andernfalls hat man eine Schublade voller unfertiger Texte.
Ein Problem, mit dem ich mich jahrelang herumgeschlagen habe. Manuskripte habe ich immer wieder von vorne gelesen, bevor sie fertig waren.
Umgeschrieben, gestrichen und umgebaut, noch während ich dabei war, die Rohfassung zu schreiben. Am Ende hat das dazu geführt, dass Vieles niemals fertig wurde. Frustrierend.
Ich habe viel experimentiert, Tools und Workflows getestet, die mir dabei helfen sollten, Texte zu veröffentlichen und sie als »fertig« anzusehen. Ich glaube, Stand heute (Mai 2021), habe ich ihn gefunden, den für mich perfekten Weg.
Tools
Für Autor*innen gibt es unzählige Tools, die beinahe alle suggerieren, dass sich Texte damit gewissermaßen von allein schreiben (lassen). Das ist Quatsch, jede*r Autor*in weiß das. Schreiben ist harte Arbeit, die Überarbeitung ist noch härter. 😜
Ich habe viele getestet, von Papyrus Autor über Scrivener, Pages, Word, Google Docs und Ulysses. Außerdem StoryPlanner für das Plotten von Geschichten, Craft fürs Entwerfen von Newslettern und so weiter. Ihr seht schon, viel Software, wenig Ergebnis.
Was nutze ich jetzt?
Highland 2, um die Rohfassung zu schreiben. Ich liebe den Minimalismus, die Tatsache, dass mich nichts ablenkt, ich mich weder um Formatierung noch um Kapitel oder sonstiges kümmern muss. Einfach nur schreiben, Highland macht dank Markdown und fertiger Templates den Rest. Die Sprints, die sich direkt in der Software starten lassen, sind grandios. So schreibe ich immer 25 Minuten und mache dann 5 Minuten Pause (nennt sich Pomodoro-Technik, nutze ich auch im Brotjob). Für jeden Sprint kann ich mir in Highland die Wort-Statistik anschauen (wie viele Wörter habe ich im letzten Sprint geschrieben bzw. gelöscht). Wenn Du noch mehr über Highland wissen willst, schau mal hier. Ich nutze denselben Arbeitsablauf wie John August, der Schöpfer von Highland. Dazu mehr unter »Workflow«.
Mit dem Plug-in des LanguageTools für Word (oder auch Google Docs) geht es an die abschließende Korrektur. Dieses Tool ist (in der Pro-Version) wirklich mächtig und findet nicht nur Rechtschreibfehler, sondern korrigiert auch Grammatik und macht Stilvorschläge, erkennt zu lange Sätze oder Umgangssprache. Ich nutze es auch als Plug-in für Google Chrome.
Mit StoryPlanner »plotte« ich während des Schreibens, einen Vorab-Plott mache ich selten, bin also eher der Panster. :)
SP Buchsatz, eine freie Software von Karl-Heinz Zimmer, verwende ich, um den Buchsatz zu erstellen. Nicht ganz einfach in der Einarbeitung, aber besser geht es kaum.
Mehr Tools sind es nicht (mehr), damit komme ich perfekt zurecht. Nebenbei bin ich damit auch einige Software-Abos losgeworden. :)
Workflow
Die besten Tools nutzen nur, wenn man einen guten Arbeitsablauf etabliert. Ich habe nicht den Anspruch, den besten Workflow für alle gefunden zu haben, aber für mich funktioniert es folgendermaßen gut:
In Highland erstelle ich für jedes Kapitel ein eigenes Dokument. Das hilft mir, mich auf das zu konzentrieren, woran ich gerade arbeite und nicht in Versuchung zu geraten, meinen Text vom Vortag (oder noch weiter zurück) immer und immer wieder zu lesen und zu überarbeiten (das kommt später, in Word oder Google Docs). Die einzelnen Dokumente binde ich mittels INCLUDE-Befehl in ein Masterdokument ein. Highland macht dann am Ende ein Gesamtwerk daraus. Der große Vorteil: Kapitel werden im Masterdokument nur referenziert. Ändere ich also etwas in einem Kapitel, habe ich im Masterdokument immer die aktuelle Version, ohne etwas neu kopieren oder verknüpfen zu müssen. Zudem kann ich das Masterdokument mittels Markdown formatieren und meine Einstellungen werden auf alle Kapitel übernommen. Für die Überarbeitung der einzelnen Kapitel nutze ich den »Revision-Mode« in Highland.
Sind alle Kapitel fertig, erstelle ich das Masterdokument und exportiere es als RTF, um es in Word / Google Docs zu korrigieren und die finale Überarbeitung zu machen. Das ist (meistens) das erste Mal, dass ich das Manuskript am Stück lese.
Wenn ich alle Korrekturen abgeschlossen habe und mit dem Ergebnis zufrieden bin, exportiere ich das Dokument als .doc und erstelle den Buchsatz mit SP Buchsatz oder schicke es an meinen Agenten.
Damit ist der Text fertig. RTF (oder PDF für die Agentur) lassen sich problemlos wieder in Highland öffnen und bearbeiten, falls notwendig.
Auf die Gestaltung des Covers gehe ich hier nicht ein, das ist ein separates Thema. Mache ich selten selbst, ein professionelles Cover sollte (IMHO) immer auch von einer professionellen Designerin erstellt werden.
Noch eine Anmerkung zur Korrektur:
Diesen Arbeitsablauf nutze ich aktuell für »Das Dorf«, da ich hier alle zwei Wochen ein neues Kapitel auf meinem Blog veröffentliche. Wenn ich ein Buch in den Druck gebe, durchläuft es immer noch ein Abschlusskorrektorat von einer Korrektorin. Selbst die beste Software ist (noch) nicht in der Lage, alles zu finden, daher muss aus meiner Sicht immer noch ein Mensch den letzten Feinschliff übernehmen. Seit ich LanguageTool verwende, hat meine Korrektorin allerdings bedeutend weniger anzumerken. 😅
Mindset
Das alles hilft Dir aber nur, wenn Deine Einstellung stimmt. :)
Perfektionismus ist ok, aber er darf Dich nicht aufhalten. Man kann endlos an einem Manuskript arbeiten, es gibt immer etwas zu tun, neu zu schreiben, zu verbessern, und so weiter. Wenn Du Dir unsicher bist, veröffentliche zunächst das E-Book (oder einzelne Kapitel auf Deinem Blog), lass den Text von Testleser*innen lesen, arbeite das Feedback ein und bringe dann die Print-Ausgabe auf den Markt.
Aber: Veröffentliche! Andernfalls ist alles, was Du tust, sinnlos (außer Du schreibst nur für Dich selbst, was auch vollkommen in Ordnung ist, aber dann ist dieser Artikel auch nicht für Dich gedacht 😅).
Ich hoffe, meine Erfahrung hilft Dir, einer Veröffentlichung näherzukommen. Lass mich wissen, was Du denkst. Kommentiere diesen Artikel, schreib mir bei Twitter, Instagram oder Facebook.
Bis dahin — happy writing! ♥️
Ben